Bianca Artopé

Auf den zweiten Blick

Zu den Arbeiten von Bianca Artopé
von Anna Wondrak

Das ganze Leben ist eine Frage der Perspektive. Unsere Einstellung bestimmt unser Verhalten, wie wir die Dinge sehen, wie wir schlussendlich handeln. Bianca Artopé hinterfragt unsere Welt und unseren Blick auf sie. Als zentrales Thema zieht sich die conditio humana, die menschliche Bedingung bzw. Natur des Menschen durch all ihre Werke.
Welche Grundbedingungen bestimmen die menschliche Existenz? Wie gestalten wir unser Leben? Wofür übernehmen wir (keine) Verantwortung und warum? Woran glauben wir, wovon lassen wir uns (irre)führen?
Dass sich die Wirklichkeit aus vielen verschiedenen Facetten zusammensetzt, wird auch in den künstlerischen Arbeiten Artopés sichtbar. Die geheimnisvollen Bilder sind ein komplexes Zusammenspiel aus verschiedenen Materialien und Bildquellen. Im steten Bezug zu Mensch und Natur überlagern sich Zeit und Raum, Alt und Neu sowohl formal als auch inhaltlich. Die technische Umsetzung spielt bei der Wahrnehmung und Erfassung der atmosphärischen Bildwelten eine große Rolle: Auf zahlreichen Ebenen fügt Bianca Artopé unterschiedlichste Fotografien, Strukturen und malerische Elemente am Computer zu einer Collage zusammen. Zu Beginn der Umsetzung steht ein aufwändiger manueller Prozess. Durch mehrmaliges Spachteln der Leinwand mit Gesso entsteht eine Grundstruktur, auf der großflächig Blattmetall aufgebracht wird. Im Anschluss wird das Motiv im Giclée-Verfahren auf die metallene Oberfläche gedruckt und mehrere Millimeter tief mit glänzendem Epoxidharz eingegossen. Unter dieser speziellen Versiegelung, die den Werken eine enorme spiegelnde Tiefe verleiht, entfalten sich die verschiedenen Ebenen zu surreal anmutenden Geschichten, die je nach Bildgedächtnis und Erinnerung des Betrachters auf viele Arten lesbar sind.

Die neueste Serie trägt den Titel a matter of belief. Wie auch die Bilder selbst ist der Titel vielschichtig und polysemantisch interpretierbar. Matter als Materie oder aber auch als Angelegenheit entfaltet eine große Bandbreite an unterschiedlichen Lesemöglichkeiten. In Zeiten von sich rapide entwickelnden Technologien, einem wachsenden Fokus auf Effizienz und Ertrag rückt unsere Verbindung mit unserem Innersten oftmals in den Hintergrund. Soziale Netzwerke lassen uns Scheinwelten von unserem (vermeintlich) besten Selbst kreieren. Schneller, höher, weiter. Der Glaube an uns selbst, an unsere
Intuition, wird immer öfters von äußeren Einflüssen und technischem Fortschritt überlagert. Woran glauben wir? Sind Konsum und Technologie unsere neuen Ersatzreligionen geworden? Welche Welt erschaffen wir uns? Diesen Fragen spürt Bianca Artopé nach, indem sie die Grenzen zwischen sakralen Räumen mit profanen Bauten verschwimmen lässt.

Auch in früheren Arbeiten steht der Mensch als Erschaffer und Zerstörer thematisch im Mittelpunkt. Selbst wenn er nicht explizit auftaucht, sind doch immer die Auswirkungen seines Handelns zu spüren. So werden Naturdarstellungen von architektonischen Elementen wie Strommasten, Brücken oder Straßen durchdrungen, die sinnbildlich für die Willenskraft des Menschen stehen, der oft gegen jede Vernunft seine Entscheidungsmacht missbraucht.
In der Serie “hanging hopes from chandeliers” (2016/17) verwebt die Künstlerin zwei komplett unterschiedliche Welten dicht miteinander: in den Medien omnipräsente Bilder von Flüchtlingen überlagern sich hier mit der Hightech-Architektur der westlichen Wohlstandsgesellschaft. Eindringlich verbindet Bianca Artopé die Diskrepanz von Elend, Angst und fliehenden Menschenmassen mit der heilen perfekten Welt von Luxusresorts, Reichtum und oberflächlicher Perfektion.

Auf die konsequente Weiterentwicklung von Auflösung und Überlagerung geben die Werke der Serie „architecture abstract“ einen Ausblick. Auch wenn sich hier die architektonischen Grundelemente noch erahnen lassen, fragmentiert Bianca Artopé den Bildraum immer weiter. Sie begibt sich hier auf einen neuen Pfad, bei dem sich Farbe und Fläche von konkreter Architektur in den Raum der Abstraktion auflösen. Die Materie scheint langsam zu zerfallen, man ist sich nicht sicher, was man zu sehen glaubt. Und wie so oft im Leben heißt es auch hier: a matter of belief.

Anna Wondrak
Kunsthistorikerin und Kuratorin
 


Letzte Änderung am 05.05.24 um 04:35 Uhr.
 

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